Weingarten - Die Auswirkungen der Corona-Pandemie werden noch lange spürbar sein. Die Gesellschaft wurde nicht nur durch das Virus selbst, sondern auch durch die Konsequenzen der politischen Reaktionen verändert. Ein Bereich, in dem das besonders auffällig ist, ist die Geschlechtergerechtigkeit. Corona aus der Gender-Perspektive - damit beschäftigte sich eine Studie, die nun von der Friedrich-Ebert-Stiftung publiziert wurde. Professorin Dr. Marlene Haupt ist Erstautorin. Sie lehrt Sozialwirtschaft und Sozialpolitik an der Hochschule Ravensburg-Weingarten (RWU) und ist dort als Gleichstellungsbeauftragte tätig.
Geschlechtergerechtigkeit in der Krise
„Die Resultate der Studie zeigen, dass die Errungenschaften in Sachen Geschlechtergerechtigkeit durch die Pandemie auf dem Spiel stehen“, sagt Marlene Haupt. So zeigen die Daten unter anderem, dass Frauen häufiger als Männer von Kurzarbeit betroffen waren. Auch seien es vor allem die Mütter gewesen, die den Betreuungsausfall durch geschlossene Kitas und Schulen auffingen, wofür sie häufig ihre Arbeitszeit verminderten. „Einmal reduzierte Arbeitszeit kann oft nur schwer wieder erhöht werden und die Gehaltsausfälle schlagen sich auch in der Alterssicherung der Betroffenen nieder“, sagt die Wissenschaftlerin.
Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern würden sich damit wieder verfestigen. Für viele Frauen bedeute die Corona-Pandemie eine Rückkehr in traditionelle Rollen innerhalb von Familie und Gesellschaft. „Dabei sind gerade Frauen in den sogenannten systemrelevanten Berufen überrepräsentiert“, sagt Marlene Haupt. Die damit verbundene gesellschaftliche Anerkennung schlage sich jedoch kaum in der Entlohnung nieder.
Die Folgen der Corona-Pandemie seien für die Arbeitssituation der Frauen drastischer und nachhaltiger. „Mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verschieben sich Machtverhältnisse, nicht nur auf dem Arbeitsmarkt“, erklärt Marlene Haupt. „Finanzielle Abhängigkeiten führen auch in Familien dazu, dass Ungleichheiten entstehen und sich die Partner nicht mehr auf Augenhöhe begegnen.“
Unfreiwillige Rückkehr in traditionelle Rollenbilder
Neben diesen gesellschaftlichen Konsequenzen sind Frauen laut Studie auch von einer steigenden mentalen Belastung durch die Pandemie betroffen. „Zusätzliche Aufgaben in der Familie, die Organisation, Planung oder andere nicht sichtbare Arbeit wurden überwiegend von Frauen übernommen“, sagt Marlene Haupt. Dazu kämen noch die während des Lockdowns gestiegenen Fälle an häuslicher Gewalt, der die Betroffenen unter diesen Umständen schutzlos ausgeliefert seien.
Eine Rückkehr zu traditionellen Rollenbildern zeige sich auch in der Berichterstattung über die Pandemie. Während die Hälfte der ÄrztInnen in Deutschland weiblich sind, stellten sie nur 20 Prozent der MedizinerInnen, die in den Medien zu Wort kamen. Auch im Krisenstab der Bundesregierung und der beratenden Akademie der Wissenschaften Leopoldina sind Frauen laut Studie deutlich unterrepräsentiert.
Bereits bestehende Missstände werden offensichtlich
An vielen Stellen mache die Pandemie die Versäumnisse der vergangenen Geschlechterpolitik nur offensichtlich, sagt Marlene Haupt. So sei es zwar naheliegend, dass die Frau in der Familie mit ihrem oft geringeren Einkommen ihre Arbeitszeit reduziere, aber: „Dieses Lohngefälle hat häufig Gründe, die wiederum in einem Mangel an Geschlechtergerechtigkeit liegen. Dagegen wurde in der Vergangenheit zu wenig getan.“
Marlene Haupt fordert, dass nun Lehren aus der Pandemie gezogen werden. „Es wurde noch deutlicher, wie wichtig eine flächendeckende und zuverlässige Kinderbetreuung für die Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt und damit auch in der Gesellschaft ist. Die Familien- und Geschlechterpolitik muss institutionell verankert werden, damit sie fester Bestandteil der Abwägung politischer Entscheidungen wird.“
Vorstellung und Diskussion der Studie
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Early Night Social Talk“ stellt Marlene Haupt die Erkenntnisse der Studie vor, blickt mit einem vergleichenden Blick auf die Situation in Schweden und lädt zur anschließenden Diskussion ein.
Auswirkungen der Corona-Pandemie aus der Geschlechterperspektive – Deutschland und Schweden im Vergleich - ONLINE
Mittwoch, 13.01.2021 um 18.00 Uhr
Die Veranstaltung ist für alle Interessenten offen.
Text: Michael Pfeiffer