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Kommentar

Mehr Zeit, weniger Leistung

Studierende arbeiten zusammen an einem Projekt.
Quelle:
Elias Engelhardt, RWU

Professor Dr. Götz Walter ist Leiter des Bachelorstudiengangs Wirtschaftspsychologie an der RWU. Und er hat sich mit der These beschäftigt, längere Arbeitszeiten hätten automatisch eine höhere Leistung zur Folge. Ein Kommentar.

Unternehmen haben ein Problem: es gibt zu viel Arbeit für zu wenige Mitarbeitende. Die Gründe sind vielfältig und allseits bekannt: demographischer Wandel, Fachkräftemangel, hohe Ansprüche und vermeintlich geringe Leidensfähigkeit von Mitarbeitenden. 

In den letzten Jahren wurde stark auf eine höhere Flexibilität gesetzt, um Mitarbeitende zu binden und zu motivieren. Home-Office-Regelungen, Workation, agile Arbeitsmethoden und New Work waren in aller Munde. Jetzt schlägt das Pendel anscheinend in die andere Richtung. Firmen holen ihre Mitarbeitenden aus dem Home-Office zurück. Politiker und Manager bringen die 6-Tage-Woche als geeignetes Mittel ins Gespräch.

Mehr Arbeitszeit = höhere Leistung. Die Gleichung ist mathematisch so einleuchtend, dass man sie gar nicht weiter erklären muss. Einfach länger arbeiten – und schon ist das Problem der Unternehmen gelöst. Solche einfachen Lösungsansätze finden sich bereits im Taylorismus – Grundlage für die Organisation der Fließbandarbeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Wie müssen organisatorische Rahmenbedingungen gestaltet werden?

Doch heute leben wir in einer Wissensgesellschaft. Ein großer Teil der Arbeitsverhältnisse ist nicht mehr durch simple und monotone Tätigkeiten geprägt. Selbständigkeit, Kreativität, Übernahme von Verantwortung, die Lösung komplexer Probleme – all das wird von modernen Mitarbeitenden gefordert. Und dort ist die Gleichung „Mehr Arbeitszeit = höhere Leistung“ schlichtweg simplizistisch und falsch.

Die psychologische Forschung zeigt klar auf, wie organisatorische Rahmenbedingungen gestaltet werden müssen, um bei solchen Anforderungen eine hohe Motivation und Leistung der Mitarbeitenden zu gewährleisten: regelmäßiges und ehrliches Feedback, sodass Mitarbeitende lernen können. Eine hohe Autonomie, also die Möglichkeit, Rahmenbedingungen der Arbeit mitzugestalten. Und vertrauensvolle Beziehungen zu Mitarbeitenden und Vorgesetzten, um ein hohes Sicherheitsgefühl zu gewährleisten.

Unglaubliche Leistungen ohne Kontrolle

Wirtschaftspsychologische Erkenntnisse hierzu gibt es zur Genüge: Der Flow-Zustand, die Selbstbestimmungstheorie, transformationale Führung sind nur einige Beispiele. Der Kern ist: wenn der Rahmen stimmt, sind Mitarbeitende zu unglaublichen Leistungen fähig. Ganz ohne Kontrolle, einfach nur weil sie es wollen.

Dennoch greifen jetzt wieder alte Reflexe: Je länger Mitarbeitende arbeiten, desto mehr leisten sie. Genau das Gegenteil ist der Fall: Wenn Mitarbeitende zu längeren Arbeitszeiten gezwungen werden, leisten sie häufig weniger, nicht mehr. Stichworte sind höhere Krankheitsraten, Absentismus und innere Kündigung. Führungskräfte, die mit solch einfachen Lösungsansätzen liebäugeln, schaden der Leistungsfähigkeit ihrer Unternehmen.

Text:
Prof. Dr. Götz Walter