Wie können Bedarfe und Bedürfnisse von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen in Forschungs- und Technikentwicklungsprojekten besser berücksichtigt werden? Welche Gesundheitsdaten dürfen beim Einsatz sozio-technischer Systeme in der häuslichen Umgebung ethisch vertretbar erhoben und ausgewertet werden? Wie können technische Neuentwicklungen so transparent vermittelt werden, dass auch technikferne Zielgruppen ein umfassendes Verständnis gewinnen und informiert in die Teilnahme an Erprobungsstudien einwilligen können? Dies sind nur einige Beispiele der zahlreichen ethischen Fragestellungen, die im Forschungsalltag bei der Entwicklung von Technologien für das Alter(n) und für Menschen mit Behinderungen entstehen können.
Workshop unter hochkarätiger Leitung
Aus diesem Grund initiierten und co-organisierten Mitarbeitende der Arbeitsgruppe von Professor Dr. Winter einen Workshop für das derzeit laufende Forschungsprojekt IBH Living Lab AAL der Internationalen Bodensee-Hochschule.
Das IBH Living Lab AAL ist ein Zusammenschluss von zwölf Hochschul- und 21 Praxispartnern aus der Bodenseeregion und bildet damit ein länderübergreifendes (D, A, CH) und interdisziplinäres Forschungsnetzwerk. Im Zentrum steht der nachhaltige Abbau von AAL-Barrieren mit dem Ziel, unter Einsatz von AAL-Technologien die Lebensqualität und Selbstständigkeit von Menschen mit Unterstützungsbedarf zu verbessern.
Für den zweitägigen Ethikworkshop, der am 14. und 15. Oktober 2019 an der Fachhochschule Vorarlberg im österreichischen Dornbirn stattfand, konnte die RWU den international anerkannten Professor Dr. theol. habil. Arne Manzeschke gewinnen. Er ist Leiter der Fachstelle für Ethik und Anthropologie im Gesundheitswesen an der evangelischen Hochschule Nürnberg und Präsident der europäischen Forschungsgesellschaft für Ethik Societas Ethica.
Mit Blick auf das Ziel des IBH AAL-Rahmenprojekts, Menschen mit Assistenzbedarf durch den Einsatz technischer (digitaler) Innovationen, sog. AAL-Technologien, ein möglichst selbstständiges und gesundes Leben zu ermöglichen, ist eine frühzeitige und gewissenhafte Auseinandersetzung mit ethischen Herausforderungen und Risiken unabdingbar: So werden in den Einzelprojekten z. T. sensible Vitalparameter und Personen- bzw. Bewegungsdaten im Alltag der Nutzenden erfasst, weshalb sich die Praxis- und Wissenschaftspartner mit komplexen Fragen hinsichtlich des ethischen Umgangs mit diesen Daten sowie den Bedürfnissen unterschiedlicher Nutzendengruppen auseinandersetzen müssen.
Reflexion sozio-technischer Arrangements
Mit Hilfe des von Professor Manzeschke entwickelten MEESTAR-Modells zur ethischen Evaluation sozio-technischer Arrangements konnten gemeinsam wichtige Positionen für das weitere Vorgehen in den Einzelprojekten herausgearbeitet werden. Im Mittelpunkt der kritischen Reflexion standen die Themen Datensicherheit, Datenschutz, Recht, Transparenz, Selbstbestimmung, Bedarfsermittlung sowie wichtige Aspekte bei der Rekrutierung von Studienteilnehmenden.
Als Ergebnis des Workshops kristallisierte sich ein gemeinsames ethisch begründetes Vorgehen dazu heraus, technische Anwendungen und Datenerhebungen in unterschiedlichen Lebensbereichen bzw. bei verschiedenen Nutzendengruppen zu identifizieren, die besonderer Aufmerksamkeit bedürfen und Konfliktpotenziale beinhalten. Potenzielle Lösungsansätze wurden im Konsortium erarbeitet und sollen in der verbleibenden Projektlaufzeit fortlaufend einem ethischen Diskurs unterzogen werden.
Der zweitägige Ethik-Workshop ermöglichte eine Erweiterung der bestehenden Expertise bezüglich ethischer, aber auch rechtlicher und sozialer Problemstellungen beim Einsatz assistiver Technologien. Darüber hinaus kommen diese Erkenntnisse laufenden Technikentwicklungsprojekten sowie künftigen Forschungsanträgen zu Technikanwendungen im Gesundheitswesen bzw. in der pflegerischen Versorgung zugute.
Weitere Informationen zum IBH Living Lab AAL stehen hier auf der Projekthomepage zur Verfügung.